Aber er ist unschuldig
Die stickige Hitze lag schwer auf seiner Brust, als Anwalt Lars Wendel, in seinem einzigen alten Polstersessel aufwachte. Zum wiederholten Mal war er die Nacht in seinem Büro geblieben und irgendwann über seinen Mordakten eingeschlafen.
Dieser Sommer in jenem Jahr war unerträglich, Temperaturen nahe dem Siedepunkt, kein kühlender Wind, kein erfrischender Regen, nur erdrückende Hitze.
Und dann dieser Mordfall, mit dem er beauftragt war, der ihm zusätzlich den Schweiß ins Gesicht trieb, den er unbedingt gewinnen wollte. Nicht weil Anwalt Lars auf viel Honorar aus war, sondern weil er der Gerechtigkeit zum Sieg verhelfen wollte, so blöd wie das klang, denn er wusste, dass sein Mandant es nicht getan hatte. Allen Widerständen zum Trotz, die Presse hatte ihn schon verurteilt, der Staatsanwalt war gegen ihn, der Richter, der unvoreingenommen sein sollte, war gegen ihn, die Schöffen waren gegen ihn, alle waren gegen ihn.
Aber er ist unschuldig.
Kaum war es acht Uhr am Morgen und die unbewegliche Luft verursachte schon Atemnot, war klebrig wie Honig. Lars riss auch das gegenüber liegende Fenster auf, doch kein Wind kühlte die Haut. Er riss sich das schweißnasse Hemd vom Leib und klatschte sich am kleinen Waschbecken in der Ecke Wasser ins Gesicht und an den Oberkörper, Linderung von der klebrigen Luft erhoffend. Doch kaum hatte er das einzige frische Hemd, das er noch im Büro hatte, übergezogen, zeigte dieses schon wieder große Schweißflecken. Sinnlos, man konnte diesem Backofensommer nicht entrinnen.
Doch die Uhr tickte unerbittlich, ihm lief die Zeit davon, der Richter, daran ließ er keinen Zweifel, wollte so schnell wie möglich den Prozess zu Ende bringen.
Aber er ist unschuldig.
Viertel nach 9 Uhr sollte die Gerichtsverhandlung fortgesetzt werden, er musste langsam in die Gänge kommen. Lars Wendel wusste schon vorher, dass ihn der Richter wieder herausfordernd und hämisch anblicken würde. Und er wusste auch, dass der Herr Vorsitzende Richter des Schöffengerichts lieber gestern als heute Termin zur Urteilsverkündung ansetzen würde. Dem Staatsanwalt war das sowieso recht. Doch diese Freude wird der Anwalt Wendel dem Gericht nicht machen.
Denn heute wird er einen entscheidenden Beweisantrag stellen , den der Richter nicht mit fadenscheinigen Gründen ablehnen konnte, so gern er das wollte.
Denn der Angeklagte ist unschuldig.
Fortsetzung folgt